Weitere Informationen zum Thema Arzthaftung:
Arzthaftung: Was ist das?
Jeder Mensch macht Fehler, auch Ärzte.
Unter Arzthaftung ist die zivilrechtliche Verantwortlichkeit eines Arztes gegenüber seinen Patienten zu verstehen, wenn er die erforderliche Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten nicht einhält, also einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler begangen hat. Vor allem in der Presse werden hierfür unterschiedliche Begriffe verwendet wie Ärztepfusch oder ärztliche Kunstfehler.
Hat der behandelnde Arzt den medizinischen Standard seines Fachgebietes nicht eingehalten und ist seinem Patienten dadurch ein Gesundheitsschaden entstanden, ist der Arzt dem Patienten zum Schadensersatz und Schmerzensgeld verpflichtet.
Behandlungsfehler
Der Behandlungsfehlerbegriff ist ein Oberbegriff für unterschiedliche Verstöße gegen die Regeln der Heilkunde. Eine gesetzliche Definition des Begriffs des Behandlungsfehlers existiert bislang nicht.
Vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers ist dann auszugehen, wenn die medizinische Maßnahme nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard zum Zeitpunkt der Behandlung entsprochen hat, also eine Standardunterschreitung vorliegt.
Behandlungsfehler können sowohl durch aktives Handeln, z.B.:
- Verabreichung eines nicht erforderlichen Medikamentes
- versehentliches Durchtrennen eines nicht identifizierten und dargestellten Nervens im Rahmen einer Operation
- Stellen einer nicht gegebenen Operationsindikation
als auch durch Unterlassungen, z.B.:
- keine Ausstellung einer notwendigen Überweisung zum Facharzt
- Unterlassung einer erforderlichen klinischen Untersuchung oder Blutabnahme zur Befundsicherung
- Unterlassung oder Verzögerung einer absolut indizierten Operation
erfolgen.
Arten von Behandlungsfehlern:
Diagnosefehler
Therapiefehler
Organisationsfehler
Übernahmeverschulden/Anfängeroperationen
voll beherrschbare Risiken
Aufklärungsfehler
Diagnosefehler:
Eine nicht zutreffende Diagnose begründet für sich alleine noch keinen Behandlungsfehler. Ein haftungsrechtlich relevanter Diagnosefehler liegt erst dann vor, wenn die Symptome des Patienten einer der Schulmedizin entgegenstehenden und unvertretbaren Weise gedeutet wurden. Die Fehlinterpretation der Befunde kann auf ungenügende Befunderhebung oder mangelnde Überprüfung der Diagnose (Kontrollbefunde) beruhen.
Beispiele:
- Magen-Darm-Verstimmung diagnostiziert, ohne durch eine Blutuntersuchung Blinddarm auszuschließen
- harmlosen Leberfleck angenommen, statt Hautkrebs, ohne Dermatoskop einzusetzen oder Biopsie zu empfehlen
Therapiefehler:
Therapiefehler können im Zusammenhang mit der Auswahl der
Behandlungsmethode auftreten, z.B.:
- Stellung einer Indikation zur Bandscheibenoperation, obwohl noch nicht alle konservativen, d.h. nicht operativen Möglichkeiten wie z.B. Schmerzbehandlung und Aufbau der Rückenmuskulatur, ausgeschöpft worden waren
Fehler können auch im Zusammenhang mit der Ausführung der Therapie auftreten, z.B.:
- Zurücklassen eines Fremdkörpers (u.a. Tupfer, Instrumente) während einer Operation im Körper des Patienten
- versehentliches Durchtrennen eines nicht dargestellten Nerven
- falsche Gabe eines Medikamentes
Auch im Zusammenhang mit der Informationspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten zur Sicherung des Therapieerfolges (therapeutische Informationspflicht) können Fehler auftreten, z.B.:
- kein Hinweis darauf, dass der Patient nach einer Rückenoperation nur bis zu 5 kg heben darf
- kein Hinweis darauf, dass nach einer Hallux-valgus-Operation der betroffene Fuß zu schonen, hochzulagern und zu kühlen ist, um das Operationsergebnis nicht zu gefährden
Organisationsfehler:
Der medizinische Standard beinhaltet die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Abläufe in einem Krankenhaus und auch in einer Arztpraxis.
Dazu zählen u.a.:
- die Planung der Arbeitsabläufe, des Personaleinsatzes (Auswahl und Überwachung)
- Gerätesicherheit
- Einhaltung der Hygienevorschriften
a) Anfängerfehler:
Tritt bei der Behandlung durch einen jungen Arzt, der noch nicht Facharzt ist, eine Komplikation auf, wird nach dem Gesetz vermutet, dass der Fehler auf seinen Einsatz zurückgeht. Dieses Versäumnis wird dem Krankenhausträger oder dem Praxisinhaber als Organisationsfehler zugerechnet, der den Einsatz des Anfängers zu verantworten hat.
b) voll beherrschbare Risiken:
Bei der Verwirklichung von Risiken, die nicht vorrangig aus den Eigenheiten des menschlichen Organismus erwachsen, sondern durch den Klinikbetrieb oder die Arztpraxis gesetzt und durch sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens objektiv voll beherrscht werden können (vgl.: NJW 1995, 1618), liegt die Beweislast für die Verschuldensfreiheit auf der Arztseite.
Aufklärungsfehler
Die Aufklärungspflicht ist eine Hauptpflicht des Arztes aus dem Behandlungsvertrag. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufklärung ist auch Ausdruck des elementaren Selbstbestimmungsrechts des Patienten, das im Rahmen einer ärztlichen Behandlung stets zu beachten ist.
Das bedeutet konkret:
Der Patient muss rechtzeitig wissen, was medizinisch mit ihm, mit welchen Mitteln und mit welchen Risiken und Folgen geschehen soll.
Neben der gesetzlichen Verpflichtung gem. § 630e BGB zur Aufklärung des Patienten ist diese auch Berufspflicht des Arztes.
Beispielhaft sei hier genannt:
§ 8 Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä)
Zur Behandlung bedürfen Ärztinnen und Ärzte der Einwilligung der Patienten oder des Patienten. Der Einwilligung hat grundsätzlich die erforderliche Aufklärung im persönlichen Gespräch vorauszugehen.
Beweislastverteilung in der Arzthaftung
Beweislast:
Darunter versteht man das Risiko einer Partei, im Prozess (nur) wegen der Nichtbeweisbarkeit einer ihren Anspruch stützenden Tatsache den Prozess zu verlieren. Wem die Beweislast obliegt, ist deshalb oft prozessentscheidend.
1. Grundsatz
Auch im Arzthaftungsrecht gilt der allgemeine zivilprozessuale Grundsatz, dass jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat.
Der Patient ist deshalb grundsätzlich mit den folgenden Anspruchsvoraussetzungen beweisbelastet:
a) Behandlungsfehler
b) Gesundheitsschaden des Patienten
c) ursächlicher Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden (Kausalität)
d) Verschulden des Arztes
Im Bereich Arzthaftung stehen sich auf der einen Seite typischerweise der Patient als medizinischer Laie und auf der anderen Seite die Ärzte mit ihrer medizinischen Spezialisierung gegenüber. Um dieser Besonderheit in der Arzthaftung Rechnung zu tragen, hat die Rechtsprechung Änderungen der Beweislastverteilung in bestimmten Fallkonstellationen entwickelt, um einen Ausgleich zu dem bestehenden Wissensgefälle zwischen Arzt und Patient zu erzielen (sog. Waffengleichheit).
2. Ausnahmen
Der Paragraph § 630h BGB hilft dem Patienten über typische Beweisschwierigkeiten durch verschiedene sog. gesetzliche Vermutungen hinweg. Diese bewirken, dass eine für den Patienten günstige Tatsache, die schwer zu beweisen ist, vermutet wird, sofern einige andere, regelmäßig unstreitige oder leichter zu beweisende Umstände gegeben sind.
Beispiele:
- voll beherrschbares Risiko § 630h Abs. 1 BGB
- der Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung
liegt auf der Arztseite § 630h Abs. 2 BGB - Beweiserleichterung bei Dokumentationsmängeln § 630h Abs. 3 BGB
- gesetzliche Vermutung bei Anfängerbehandlung § 630h Abs. 4 BGB
- grober Behandlungsfehler § 630h Abs. 5 S. 1 BGB
- einfacher Befunderhebungsmangel § 630h Abs. 5 S. 2 BGB
Das seit 2013 existierende Patientenrechtegesetz hat damit eine Beweislastverschiebung zugunsten des Patienten mit der Norm § 630h BGB eingeführt.